
Die Erfindung des Backgammon
1. Januar 2013Die Erklärung des Schachspiels und die
Erfindung des Nard1 (Backgammon)
Aus dem Englischen übersetzt von Tim Schüttler
Man erzählt sich, dass zur Zeit der Herrschaft des Chosrau2 – der mit der unsterblichen Seele – mit dem Ziel die Weisheit und Klugheit der Iraner zur prüfen sowie seine Überlegenheit zu beweisen, Dēwišarm3, der große König der Inder, ein Schachspiel sandte, sechzehn Figuren von Smaragd und sechzehn von Rubin. Mit jenem Schachspiel sandte er außerdem noch 1200 Kamele beladen mit Gold und Silber und Juwelen und Perlen und Stoffen. Hinzu kamen noch 90 prächtig ausgestattete Elefanten. Taxritos, welcher bei den Indern sehr berühmt war, wurde ebenfalls auf diese Reise geschickt. Er schrieb in einem Brief an uns: Ihr werdet genannt König der Könige, und wenn Ihr auch behauptet König der Könige über uns zu sein, so müssen auch Eure Weisen noch weiser sein als die unseren . Der König der Könige bat um drei Tage Zeit, es fand sich jedoch im ganzen Land Ērānšahr4 kein weiser Mann, der die Bedeutung des Schachspiels erklären konnte. Am dritten Tage trat Bozorgmehr5, Sohn des Boxtag hervor und sagte: Herr, möget Ihr unsterblich sein – ich habe die Bedeutung des Schachspiels noch nicht erklärt bis zum heutigen Tag allein aus dem Grund, damit Ihr und alle im Lande Ērānšahr erkennen sollt, dass ich der Klügste bin in ganz Ērānšahr. Ich werde mit Leichtigkeit den Sinn des Schachspiels erläutern und Tribut von Dēwišarm fordern. Außerdem will ich etwas erfinden und zu Dēwišarm schicken, und dieser wird nicht fähig sein es zu erklären. Dann will ich ein zweites Mal Tribut fordern und fortan sollen alle sehen, dass Ihr zurecht König der Könige seid, und unsere Weisen in der Tat klüger sind, als die am Hofe des Dēwišarm. Dreimal rief der König der Könige aus: Bravo Bozorgmehr – unser Taxritos! Und belohnte ihn mit 12000 Silbermünzen.
Bozorgmehr fordert einen indischen Gesandten zu einer Partie Schach heraus.
Am folgenden Tag rief Bozorgmehr Taxritos zu sich und sagte zu ihm: Dēwišarm hat das Schachspiel gemacht wie eine Schlacht. Er machte die Könige wie zwei Herrscher, die Türme an den Flanken, den Farzin6 als den Anführer der Truppen, den Elefanten7 als den Führer der Leibgarde, das Pferd als den Führer der Kavallerie und die Fußsoldaten, die in der Schlacht vorangehen.
Daraufhin stellte Taxritos die Figuren auf dem Brett auf und begann mit Bozorgmehr zu spielen. Bozorgmehr gewann dreimal nacheinander gegen Taxritos, was große Freude über das ganze Land brachte. Sodann erhob sich Taxritos und sprach: Möget ihr unsterblich sein – Gott hat Euch diese wundersame Macht und Ehre und Stärke und den Sieg gegeben. Ihr seid der Herrscher über Ērān und nicht-Ērān. Zahlreiche weise Männer Indiens haben dieses Schachspiel mit viel Mühe erdacht, unter großem Aufwand hierher gebracht und keiner konnte es lösen. Euer Bozorgmehr hingegen verstand es sehr einfach und leicht zu erklären durch seine angeborene Weisheit. Große Reichtümer gewann er dadurch für den König der Könige.
Am nächsten Tag rief der König der Könige Bozorgmehr zu sich und sagte zu ihm: mein Bozorgmehr, was ist es von dem du sprachst es zu erfinden und zu Dēwišarm zu schicken? Bozorgmehr antwortete: Unter den Herrschern unseres Zeitalters war Ardaxsir8 der fähigste und klügste, und so will ich mein Spiel Nēw-Ardaxšīr (Groß ist Ardaxsir) nennen. Das Spielfeld sei die Erde Spandarmad9 und ich will 30 Spielsteine machen für 30 Tage und Nächte, 15 hell wie der Tag und 15 schwarz wie die Nacht. Der Würfel sei wie der Lauf der Sterne und das sich drehende Firmament. Die eins auf dem Würfel für Ohrmazd10, der eine, der alles Gute geschaffen hat. Die zwei für die geistige und die materielle Welt. Die drei für gute Gedanken, gute Worte, gute Taten oder Gedanken, Worte, Taten. Die vier für die vier Elemente aus denen der Mensch gemacht ist, und die Himmelsrichtungen, Nord und Süd, Ost und West. Die fünf für die fünf Lichter, die Sonne, der Mond, die Sterne, das Feuer und das himmlische Leuchten. Die sechs für die sechs Feste im Lauf eines Jahres (Gāhānbārs). Die Regeln des Spiels mache ich wie unser Herr Ohrmazd, als er die Kreaturen auf der Erde schuf. Die Spielsteine ziehen und bewegen sich im Kreis durch die Würfel, wie Menschen auf der Erde, geleitet durch das Schicksal, die ihren Platz haben und voranschreiten wie es die sieben (Planeten) und zwölf (Sternzeichen) bestimmen. Und wenn sie aufeinender treffen und sich schlagen, so sei es wie in dieser Welt wenn zwei sich schlagen. Und wenn sie nun nach dem Drehen des Würfels hinweggenommen werden, sei es wie Menschen, die von der Erde verscheiden. Dann stellt man sie wieder auf, genau wie alle Menschen in der Zeit der Auferstehung (Frashegird11) wieder lebendig werden.
Bozorgmehr erklärt dem indischen Raja das Spiel Nard (Backgammon).
Als der König der Könige dies hörte, war er sehr erfreut und befiel aufzustellen 12000 arabische Pferde von gleicher Farbe, mit Zaumzeug besetzt mit Gold und Perlen und 12000 ausgewählte junge Männer von Ērānšahr, 12000 Rüstungen und 12000 Schwerter aus indischem Stahl, 12000 Waffengürtel mit Edelsteinen besetzt, und alles was benötigt wird für 12000 Männer und Pferde, und alles prächtig geschmückt.
Bozorgmehr, Sohn des Boxtag wurde zu ihrem Anführer ernannt, und an einem Tag der Gutes verhieß, mit guten Wünschen und Bitten um Gottes Hilfe nach Indien entsandt. Dēwišarm, der große König der Inder, als er sie so sah, bat Bozorgmehr, Sohn des Boxtag um ein Frist von 40 Tagen. Es gab aber keinen unter den Weisen Indiens, der das Spiel Nēw-Ardaxšīr (Nard) verstand und erklären konnte. Bozorgmehr erhielt reiche Belohnung und Tribut und kehrte reich und ehrenvoll nach Ērānšahr zurück.
Der Sinn des Schachspiels ist: Sieg durch überlegenes Wissen, wie die Gelehrten sagen. Um es zu spielen, soll man durch gute Beobachtung und Strebsamkeit seine eigenen Figuren schützen, und durch größere Anstrengung die des anderen schwächen, und keinen falschen Zug machen nur um eine Figur zu schlagen, immer eine Figur im Angriff und die restlichen in der Verteidigung, immer mit größter Achtsamkeit, nach den Regeln wie im Buch des guten Benehmens (Ewen Nāmag12) beschrieben.
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1 Mittelpersisch: Wizârišn î chatrang ud nihišm î nēw-ardaxšîr; genaue Datierung der Legende unbekannt, mündlich überliefert wohl seit dem 6. Jhd., verschriftlicht erstmals im 9. Jhd. Fast dieselbe Geschichte findet sich im persischen „Nationalepos“ Schahname des Dichters Firdausi (940-1020) wieder. Das persische Nard entspricht in der charakteristischen Startaufstellung der Steine in vier Gruppen und den Grundregeln durchaus dem neuzeitlichen Backgammon. In einem indischen Fürstenspiegel Mānasollāsa wird ein solches Spiel Golakakrīdana („Spiel mit sechsseitigen Würfeln“) beschrieben. Kubische Würfel waren Indien noch unüblich, was auf den Import aus Persien hinweist.
2 Chosrau I., genannt Anuschirwan („mit der unsterblichen Seele“; † 579, war von 531 bis zu seinem Tod 579 persischer Großkönig. Er stammte aus dem Geschlecht der Sassaniden. Chosrau I. war der Gegenspieler des oströmischen Kaisers Justinian I. (527–565). Er führte das Sassanidenreich zu einem Höhepunkt.
3 Div Saram; Div taucht generell als Präfix für fremde Herrscher auf. Um welchen genau es sich hier handelt ist unbekannt.
4 Reich der Iraner, Bezeichnung des Sassanidenreiches
5 Bozorgmehr-e Bokhtagan, Wesir von Chosrau I. gilt in zahlreichen persischen und arabischen Quellen geradezu als Inbegriff eines Weisen. Es ist umstritten, aber nicht unwahrscheinlich, dass die historische Person identisch ist mit Burzoe dem Leibarzt des Schahs Chosrau I., der eine Mission nach Indien führte und die indische Hofdichtung Panchatantra, eine Sammlung von moralischen Geschichten und Fabeln aus dem Sanskrit übersetzte.
6 Auch Vazir (Wezir), in Europa später als Dame bezeichnet.
7 Der Läufer
8 Ardaschir I. (Ardašir) selten in griechisch-römischen Quellen auch Artaxerxes; † ca. 242; Regierungszeit: 224–239/40) war der Begründer des Sassanidenreichs (224–651).
9 Im Zoroastrismus einer der sechs unsterblichen Weisen, dem die Domäne ‚Erde’ zugeordnet ist.
10 im Zoroastrismus der Schöpfergott, der zuerst die geistige Welt (Menok) und dann die materielle Welt (Geti) erschaffen hat; er verkörpert die Macht des Lichts, ist Schöpfer und Erhalter der Welt und der Menschheit und ist der Gott der Fruchtbarkeit der Lebewesen.
11 Wörtlich etwa: „Vollendung der Herrlichkeit“; im Zoroastrismus Zeit des jüngsten Gerichts und der Auferstehung der Toten.
12 Ein Fürstenspiegel
Quellen:
„Explanation of Chess and arrangement of Vin-Artakhshir“
Translation by J. C. Tarapore, Vijârishn I Chatrang, Bombay, 1932
C.J. Brunner: „The Middle Persian Explanation of Chess and Invention of
Backgammon,“ The Journal of the Ancient Near Eastern Society of Columbia
University, Vol. 10, 1978
T. Daryaee: „Mind, Body and the Cosmos: Chess and Backgammon in Ancient Persia“
Iranian Studies, volume 35, number 4, Fall 2002
Abbildungen:
„Bozorgmehr fordert einen indischen Gesandten zu einer Partie Schach heraus“;
“Bayasanghori Shâhnâmeh”-Manuskript 15. Jhd.; Golestanpalast, Tehran
„Bozorgmehr erklärt dem indischen Raja das Spiel Nard (Backgammon)“;
Shâhnâmeh-Manuskript 14. Jhd.; Metropolitan Museum of Art, New York