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Nicht nur Backgammon: Streiflichter aus Georgien

31. August 2017

Bericht vom Worldwide Trophy-Turnier in Georgien, Mai 2017

Amerikaner haben es einfach: Sie wissen genau, wo Georgien liegt, es schwirrt ihnen sozusagen immer im Kopf herum, als Melodie, als Text, als Befindlichkeit. Aber wissen wir es? Als Reise- und Urlaubsland ist es so gut wie unbekannt. Gerade einmal 25.000 deutsche Touristen finden jedes Jahr den Weg nach Georgien, das östlich des Schwarzen Meers zwischen Russland, der Türkei, Aserbeidschan und Armenien liegt.

Liegt es in Europa, liegt es in Asien? Es grenzt an den Nordosten der Türkei, liegt jenseits des türkischen Kleinasiens, also in Asien. Aber es befindet sich westlich des Uralgebirges, also in Europa. Für Nino, unsere gute Fee, ist das gar keine Frage: Geographisch, geistig, der Befindlichkeit und Orientierung seiner Bewohner nach liegt es in Europa.

Als wir vor zwei Jahren Georgien das erste Mal besucht haben, schenkten uns die Grenzbeamten am Flughafen von Tiflis eine Flasche Wein. Georgien rühmt sich seiner uralten Weinbautradition. Den Weinbau hat es in jüngster Zeit nicht nur wiederbelebt, sondern auch modernisiert. Inzwischen gibt es organisierte Fahrten zu den Weingütern in den Anbauregionen, mit komfortablen Übernachtungs- und reichlich Verkostungsmöglichkeiten. Wer den süßen Wein erwartet, der in den 70er Jahren auch hierzulande noch dem vorherrschenden Geschmack entsprach, der wird eher enttäuscht. Aus Rebsorten, die im Rest der Welt ganz und gar unbekannt sind und oft schwer aussprechliche Namen tragen, wird in Georgien durchweg guter Wein gekeltert, der heutigen Standards entspricht.

Hat uns besonders gut geschmeckt: TsolikouriHat uns besonders gut geschmeckt: Tsolikouri

Aber 2017 sind wir nicht wegen des Weins nach Georgien gefahren, obwohl er uns eine angenehme Beigabe ist. Auch nicht wegen der überwältigenden Naturschönheiten, allen voran das grasgrüne Hochgebirge des Kaukasus, der Georgien im Norden von Russland trennt. Anders als die sich schroff auftürmenden Alpen ist der Kaukasus von sanftgrünen Matten überdeckt, die auch weit über der Baumgrenze das Bild eines hügeligen Mittelgebirges bieten. Und auch nicht wegen der sehenswerten Kirchen und Klöster, die in diesem sehr früh christianisierten Land schon immer eine bedeutende Rolle für Kultur und Wissenschaft gespielt haben.

Im Kaukasus treffen sich Mythologie und christlicher Glauben: Hoch über der Kleinstadt Stepanzminda thront inmitten grüner Grasmatten malerisch die kleine Kirche des heiligen Stefan, zu der ein Kloster gehört, das zumindest im Sommer von Mönchen bewohnt und bewirtschaftet wird. Darüber türmt sich der mächtige, fast 5000 Meter hohe Felsenkegel des Kazbeg, an den die Götter den aufsässigen Prometheus gekettet haben sollen, nachdem er den Menschen das Feuer – die Erkenntnis – gebracht hat. Ein wahrhaft titanischer Berg, dessen es zur Bestrafung des Titanen bedurfte!

Das alles haben wir bei unserem diesjährigen Besuch nicht im Sinn. Wir wollen in Tiflis, der Hauptstadt des Landes, Backgammon spielen, bei einem großen internationalen Turnier, das fast 170 Spieler nicht nur aus ganz Georgien, nicht nur aus den umliegenden Ländern, sondern auch aus Westeuropa und sogar aus den USA angezogen hat. Das Interesse wird dadurch verstärkt, dass als Gewinnprämien nicht nur die eingezahlten Startgelder zur Verfügung stehen, sondern ein Zusatzbetrag, das sogenannte Added money, das ein Sponsor bereitgestellt hat. Wie sagte doch ein deutscher Weltklassespieler, der auch dabei war: Ich versuche jedes Turnier, dass ein Added auszahlt, mit meiner Teilnahme zu honorieren. Recht hat er!

Wer bereits ein paar Tage vor Turnierbeginn angereist ist, kann sich das raue und doch von einer eigentümlichen Leichtigkeit geprägte Tiflis ansehen, durch die Straßen flanieren, Museen besuchen, die georgische Küche genießen. Ich habe dieses Mal ein Konzert im Konservatorium gewählt, das gerade das 100. Jahr seines Bestehens mit einer Konzertreihe feiert. In den zwei Stunden des Nachmittags werden überwiegend kurze Stücke für kleine Besetzungen georgischer Komponisten geboten, die am ehesten der klassischen Moderne zuzurechnen sind. Mal mehr, mal weniger meine ich zu hören, manchmal nur zu spüren, dass viele von ihnen in der georgischen Volksmusik grundiert sind.

Nachmittagskonzert im KonservatoriumNachmittagskonzert im Konservatorium

Natürlich hätte ich stattdessen auch das Stadtmuseum besuchen können. Dort bekamen wir vor zwei Jahren beim Betrachten von alten Fotografien einen Eindruck vom beschwerlichen Leben der einfachen Leute am Ende des vorletzten Jahrhunderts, aber auch von den Anfängen bürgerlicher Wohnkultur, die zwischen den Nachwehen osmanisch-orientalischer Behaglichkeit und – damals!, im 19. Jahrhunder – modernem westeuropäischem Stilwillen schwankte. Das Bürgertum nutzte eifrig die technischen Errungenschaften des fernen Westens, als da wären Phonograph, Schreibmaschine, Fotoapparat.

Auch die Nationalgalerie in Tiflis wäre einen Besuch wert gewesen. Sie bedarf dringend der Renovierung. Die Finanzierung aber steht noch nicht, wie unsere deutschsprachige Führerin berichtet hat und auch dieses Mal berichten würde, so dass die meisten Räume bis auf weiteres geschlossen sind. Dafür bekommen wir die wertvollsten Teile der Sammlung in der Schatzkammer zu sehen, Schmuck aus Email, Silber und Gold aus den Jahrhunderten um die christliche Zeitenwende, Ikonen aus den christlichen Jahrhunderten.

Besonders beeindruckend eine Darstellung Christi auf dem Ölberg, die den unbekannten Künstler dazu bewog, die prinzipiell nicht darstellbaren christlichen Mysterien in Formen zu gießen, die die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen scheinen – und das im 11. Jahrhundert! In manchen Ikonen wird byzantinischer Einfluss sichtbar, spätere bezeugen mit ornamental eingesetzten farbigen Edelsteinen orientalischen Einfluss. Im 18. Jahrhundert macht sich westlicher Einfluss, in diesem Fall des Rokoko, bemerkbar.

Am Abend hätten wir uns so wie zuvor in einem Schwefelbad erholen können. Tbilisi, wörtlich die heiße Stadt, besitzt eine Vielzahl davon. Sie gehen auf die Schwefelwasserquellen zurück, die König Wachtang I. Gorgassali im 5. Jahrhundert auf der Jagd entdeckte. Als ihm seine Diener den erlegten Fasan wenige Minuten nach dem Schuss brachten, war der ins Wasser gefallene Vogel bereits verzehrfertig gegart – so berichtet es die Legende. Wir glauben sie aufs Wort, sobald wir die Füße ins Wasserbecken unseres private rooms setzen – und sofort wieder zurückziehen, denn die heißen Quellen sind wirklich heiß! Als wir uns langsam daran gewöhnt haben und schließlich bis zum Hals ins Becken eingetaucht sind, ist die gebuchte Stunde fast um. Erst jetzt erscheint der bestellte Masseur, dem wir zeitbewusste Teutonen bedeuten, dass wir für das gebuchte Peeling nun leider keine Zeit mehr hätten. Kein Problem, hier gehen die Uhren anders, hier gibt es Stunden, die länger sind als andere. Nur darum kann nach erfolgreichem Peeling des Mannes sich die Masseurin auch noch in aller Ruhe den weiblichen Teil unserer kleinen Gesellschaft vornehmen und innerhalb der der georgisch-orientalisch gelängten Stunde alles vollbringen, was gebucht war.

Keine Frage, mit den Annehmlichkeiten des Pauschaltourismus hat das wenig zu tun. Aber auch nicht mit seinen Schrecken. Kein Animateur verlangt von einem, munter und freudig unsinnige Spiele mitzumachen. Stattdessen gibt es Verständigungsschwierigkeiten (wohl dem, der russisch kann, der kann wenigstens mit den Älteren kommunizieren), Unklarheiten, Zweifel, unverstandene und deshalb unbeantwortete Fragen. Aber dafür gibt es eine raue Herzlichkeit, die am Ende doch alles richtig zusammenfügt.

Und eine Hilfsbereitschaft, die man sich kaum irgendwo sonst auf der Welt vorstellen kann. Auf dem Weg in einen abgelegenen Teil Georgiens hoch oben im Kaukasus, in das Dorf Shatili in Chewsuretien, haben wir mit unserem Mietwagen, einem alten japanischen SUV mit extra viel Bodenfreiheit, eine Reifenpanne. Auf der Schotterpiste, die streckenweise noch nicht einmal das ist, hat sich ein kleiner spitzer Stein in den Reifen gebohrt. Während wir mit dem Radwechsel beginnen, hält ein aus den Bergen kommender SUV. Mann und Frau bieten uns in einer Mischung aus Georgisch, einigen Brocken Englisch und Russisch Hilfe an. Hier lernen wir nun georgische Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft kennen. Tatkräftig packt der Mann, mit an und übernimmt die Arbeit angesichts unserer ungeübten Handgriffe schließlich selbst.

Das ist aber noch nicht alles: Verbunden mit der Warnung, dass es in den Bergen keinen Vulkaniseur gäbe, der den kaputten Reifen reparieren könne, bietet er uns für den Fall des Falles sein eigens Reserverad an, obwohl er selbst noch einige Kilometer Schotterpiste vor sich hat. Es hat zwar nicht die Dimension unseres Rades, aber im Zweifel kommen wir damit weiter. Unseren platten Reifen will er mit nach Tiflis nehmen. In zwei Tagen, wenn wir wieder zurück sind, sollen wir ihn bei ihm abholen. Gesagt, getan, die Ersatzräder werden getauscht. Wir haben seine Telefonnummer, er hat von uns nichts. Gibt es viele Orte auf der Orte auf der Welt, wo einem solch tatkräftig-praktische Hilfe widerfährt? Wir sind dankbar und fast ein bisschen beschämt, als wir uns verabschieden. In Deutschland können Georgier mit einer Reifenpanne gewiss nicht so viel Vertrauen und Hilfe erwarten. Den Reifen holen wir zwei Tage später wieder ab, seinen bekommt er zurück. Den georgischen Wein, den wir zum Dank für ihn gekauft haben, möchte er nicht annehmen. Aber die kubanische Zigarre, die wir für alle Fälle auch dabei haben, nimmt er doch und schenkt uns noch eine süße Wassermelone. Danke, unbekannter Georgier!

Vor dem HalbfinaleVor dem Halbfinale

Aber ich bin ja hier, um Backgammon zu spielen. Das tue ich nun, vier Tage lang, fast ohne Pause, ich bin vom ersten bis zum letzten Turniermatch dabei, und ich habe viel Spaß daran, in den letzten Runden nicht mehr im großen Saal, sondern im VIP-Raum spielen zu dürfen, wo es ruhiger ist. Ich kann mit Geschick und dem notwendigen Quentchen Glück zwei sogenannte Backgammon-Giants schlagen, von denen insgesamt zehn am Turnier teilnehmen. Eine Trophäe ist denkbar nahe, aber dann treffe ich auf Zdenek Zizka, den jungen Tschechen, der kaum der Pubertät entwachsen schon einer der besten Spieler der Welt ist und natürlich ebenfalls ein Giant. Das geht nicht gut, aber ich gönne es ihm. So ein schönes Turnier habe ich schon lange nicht mehr gespielt.

Abschlussfeier mit SiegerehrungAbschlussfeier mit Siegerehrung

Damit ist die Reise aber noch nicht zu Ende. Die nationale georgische Tourismusbehörde und die georgische Backgammonföderation haben sich etwas Besonderes ausgedacht. Einen fünftägigen Aufenthalt in Georgien für Journalisten, die gerne Backgammon spielen, verbunden mit einem Backgammonturnier. Als bekannter Berliner Backgammonjournalist habe ich einen der kostbaren Plätze ergattert, und so fahre ich mit 31 anderen, die meine Leidenschaft und meine Passion für Georgien teilen, nach Tskaltubo in der Nähe von Kutaisi, der alten Hauptstadt Georgiens.

Zwischendurch spielen Journalistinnen und Musiker miteinanderZwischendurch spielen Journalistinnen und Musiker miteinander

Tskaltubo wird beherrscht von den vielen Bädern, in denen sich Heilungsuchende von allen möglichen Leiden befreien lassen können. Oder sie wenigstens lindern können. Ich habe aber keine Leiden, die sich mit Radonbädern lindern lassen, und für Menschen wie mich hatte bereits ein deutscher Reiseführer aus sowjetischer Zeit den Hinweis parat, dass an Tskaltubo das Beste die Buslinie Nr. 8 sei, die einen in wenigen Minuten nach Kutaisi bringe. In den bald 30 Jahren, die seit damals vergangen sind, hat sich daran nichts geändert. Bäder, Bäder, Bäder, sonst nichts. Und auch noch fast pausenloser Regen. Bis auf die Besichtigungen zweier Klöster, einer Tropfsteinhöhle, von der eine Orgelpfeifenformation im Gedächtnis haften bleibt, und einer wildromantischen Schlucht mit Wasserfall bleibt da nur die Hotelbar, in der ausgezeichneter georgischer Wein serviert wird.

Unsere internationale Gesellschaft macht das Beste daraus: Wir sprechen dem Wein zu und miteinander in allen möglichen Sprachen über Gott und die Welt, wir trotzen dem Regenwetter und spielen Backgammon.

Nachtblick auf TiflisNachtblick auf Tiflis

Zum Schluss, wieder in Tiflis, organisieren die Veranstalter einen Abschlussabend in einem der besseren Restaurants der Stadt für uns. Natürlich herrscht wieder nasskaltes Regenwetter, aber das köstliche Essen und der Wein entschädigen uns. Es herrscht ausgelassene Stimmung, wir tanzen, wir stehen auf der Terrasse hoch über dem Flusstal und genießen den Blick hinunter und auf die Lichter der Stadt. Georgien, wir kommen wieder!

Dankwart